
Lisa Thomsen und die großen Herausforderungen des ganz normalen Alltags
Die einzige Trainerin in der Bundesliga wird ihren Ausnahmestatus nie groß herausstellen. „Ich denke nicht täglich darüber nach, etwas Besonderes zu sein“, sagte Lisa Thomsen. „Ich versuche, ich selbst zu sein und durch meine Art und Weise zu wirken. Wenn ich dadurch für manche ein Vorbild sein kann, bin ich schon stolz darauf.“ Seit ihrem Wiedereinstieg beim USC Münster zur Saison 2021/22 kann ihr trotzdem eine zweite besondere Rolle zugeschrieben werden – als einziger Mutter im Coachingbereich.
Wie sie Woche für Woche von Sport und Familie gefordert wird und wie sie alle Anforderungen managt, beschrieb die 37-Jährige gegenüber dem USC-Journal [Ausgabe 9, Wiesbaden].
Natürlich hat der jetzt zweijährige Sohnemann Haye erstens für eine großartige Bereicherung gesorgt und zweitens für vollkommen neue Anforderungen. Lisa Thomsen und ihre Frau Janina mussten die Organisation familiengerecht anpassen. Daheim in Altenberge, wo der Tag um 6.30 Uhr beginnt. Haye geht für 35 Stunden je Woche zur Tagesmutter. „Mit der haben wir großes Glück“, sagt Lisa Thomsen. „Sie ist enorm flexibel, was die Zeiten angeht. Und Haye fühlt sich ausgesprochen wohl bei ihr.“ Für den USC ist die Profitrainerin regelmäßig über die Betreuungszeit für Haye hinaus gefordert – logisch und nur normal im Leistungssport. „Mein Vater Sönke ist bereits Rentner und steht jede Woche einen Tag zur Verfügung für seinen Enkel. Er liebt diesen Opa-Tag!“
Und an Wochenenden greift Mutter und Oma Petra Thomsen auch ein. Dass Haye mal in Marl bei den Großeltern übernachtet, hat sich gut eingespielt. Bei außergewöhnlichen Vorkommnissen – wie etwa einer kurzen Erkrankung – stehen sie immer parat. Die Trainerin ist mit langen Auswärtsfahrten gefordert, ihre Frau im Schichtdienst im Bundeswehr-Krankenhaus in Westerstede im Ammerland tätig. Janina Thomsen dient als Reservistin in der Gesundheits- und Krankenpflege und nutzt am Einsatzort ein Appartement, wenn der Dienstplan keine Heimfahrt zulässt. „Wir müssen damit leben, dass wir ab und an Haye tagelang nicht sehen können“, sagt Lisa Thomsen. Und akzeptiert die beruflichen Verpflichtungen ohne Murren. „Ich bin in den acht Monaten pro Jahr, also während der Saison, zwischen zwölf und 14 Stunden täglich gefordert. Da bleiben vier Monate für einen selbst und die Familie.“
Wie bitte schafft sie das? „Man entwickelt eine Widerstandsfähigkeit und lebt alles mit großer Leidenschaft für den Sport. Ohne diese schafft man das nicht.“ Dass viel Energie jetzt fürs Familienwohl benötigt wird, hat sie auch erfahren. „Für mich selbst bleibt wenig Zeit, ganz klar. Ich muss aber auch auf meine Fitness achten und darf das nicht schleifen lassen. Eine halbe Stunde im Kraftraum tut mir gut. Ich brauche das unbedingt.“
Und dies auch: „Ich bin sehr froh, einen so guten Staff an meiner Seite zu haben. Und ich schätze es sehr, auf die Spielerinnen zu hören. Ich spreche sehr viel mit denen und habe gelernt, auch zwischen den Zeilen zu lesen.“
Lisa Thomsen tauscht sich zudem oft mit Anne-Kathrin Orthmann (Lüdinghausen) aus, der selbstständigen Beraterin und Personalentwicklerin. „Es ist immer wichtig und wertvoll für mich, mein Tun zu reflektieren“, sagt sie. Denn Trainerin auf diese Ebene zu sein heißt auch immer, aus einer Führungsrolle heraus zu arbeiten – bisweilen unter Bedingungen, die von ihr schwer beeinflussbar sind. Lisa Thomsens Credo lautet dementsprechend: „Es ist meine Grundeinstellung, das Positive zu sehen.“